Leseprobe
Dane Rudhyar und Leyla Rael Rudhyar
Der Sonne/Mond-Zyklus
Die acht Typen
Der Neumond-Typus: Alle Menschen, die genau bei Neumond oder binnen dreieinhalb Tagen nach Neumond geboren sind - wenn also der Mond der Sonne weniger als 45° voraus ist.
Dieser Persönlichkeitstyp neigt dazu, in seinen Reaktionen auf zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Prozesse ausgesprochen subjektiv, impulsiv und emotional zu reagieren. Dies könnte zu Verwirrung führen, zu einer Tendenz, sich selbst auf andere und die Welt im ganzen zu projizieren und das Leben und die Liebe zu leben, als wären sie Träume oder Bildschirme, auf die das eigene Bild geworfen wird - und oft der eigene Schatten. Menschen und Situationen werden in den meisten Fällen ohne viel Rücksicht auf das gesehen, was sie in sich selbst sind; sie werden zu Symbolen.
Sigmund Freud, Karl Marx (unter einer Finsternis geboren) sind typische Beispiele; in einem anderen Sinne auch Woodrow Wilson und Queen Victoria, die versuchten, der Welt ihre Ideale und persönlichen Charaktere aufzuprägen. Die Queen wurde mit einer Ära und ihren Sitten in bezug auf menschliche Beziehungen identifiziert. Andere Beispiele: der persische Prophet Bab, der 1844 eine neue religiöse Ära begründete und als Märtyrer starb - Amos Bronson Alcott, der Transzendentalist, der durch seinen subjektiven Idealismus und seine spirituelle Jugendlichkeit bekannt wurde - Clara Barton, die Gründerin des Amerikanischen Roten Kreuzes, eine Frau von starker Vitalität und subjektiver Vision, die von einer tiefen «solaren» Absicht angefeuert wurde - Ludwig Ehrhard, der die deutsche Industrie und die Finanzkraft des Landes wiederbelebte - Gamal Nasser, Führer eines neugeborenen Ägypten - Präsident L. B. Johnson.
Der Sichelmond-Typus: Alle Menschen, die mit dem Mond im Tierkreis zwischen 45 und 90 Grad der Sonne voraus geboren wurden.
Hier sehen wir den neuen Impuls zur Aktion oder einer neuen Qualität der Aktion, der in theoretischer Form bei Neumond freigesetzt wurde und nun das Alte zu einem mehr oder weniger hitzigen Kampf herausfordert. Gewöhnlich führt dies zu Selbstsicherheit, zu festem Glauben an sich selbst und dem Streben, Hindernisse zu überwinden, die der Verwirklichung eines innerlich erfühlten Auftrages oder vitalen Dranges im Wege stehen. Jeder Typ hat seinen negativen Aspekt; so kann dieser Sicheltyp in manchen Fällen von einem tiefen, unterbewussten Gefühl für die Antriebskraft der Vergangenheit und die Macht von «Geistern» oder des Karma überwältigt werden. Dieses negative Gefühl entspringt dem Versäumnis, die eigene Kapazität für persönliche oder soziale Beziehungen zu repolarisieren.
Der unglückliche französische König Ludwig der XVI. ist ein Beispiel für diesen negativen Aspekt. Unter den positiven Vertretern dieses Typs finden wir Ralph Waldo Emerson, der versuchte, seiner Neuenglandkultur neue spirituelle und existentielle Werte zu bringen - Franz Liszt, der erfolgreich den sozialen Status von Musikern veränderte und überlieferte musikalische Konzepte verwarf und im Alter dennoch den Drang verspürte, zur Kirche seiner unruhigen Jugend zurückzukehren - Andrew Carnegie, den Stahlmagnaten, dessen Stiftung ein Modell für viele ähnliche Projekte wurde - Louisa May Alcott, die Autorin von «Little Women» usw. - und Präsident John F. Kennedy.
Der Erstviertel-Typus: Alle Menschen, die mit dem Mond zwischen 90 und 135 Grad der Sonne voraus geboren wurden, d.h. zwischen 7 und 10 1/2 Tage nach Neumond.
Dies repräsentiert im Mondzyklus eine Zeit der Krise im Handeln, eine Zeit für entschlossene organisatorische Aktivität. Der wesentliche Antrieb in den unter dieser Stellung Geborenen ist der Aufbau von Rahmen (oder Gerüsten), die der zukünftigen Objektivierung neuer sozialer ldeale und eines neuen Gefühls für zwischenmenschliche Beziehungen dienen können. In der positiven Ausprägung dieses Typs ist gewöhnlich ein starker Wille zu finden und vielleicht ein Gefühl der Begeisterung, wenn alte Strukturen zerbrechen, und das (zuweilen) rücksichtslose Bestreben, das neue Ideal zu konsolidieren.
Josef Stalin und Oliver Cromwell, auch Howard Scott mit seinem «technokratischen» Ruhm sind positive Beispiele; der französische Dichter Baudelaire ist ein negatives, und doch war er ein bemerkenswerter «Organisator» von Worten. Der russische Komponist Schostakowitsch und Präsident Charles de Gaulle, der so unbeugsam versuchte, ein Neues Frankreich aufzubauen, gehören ebenso zu diesem Typ, und vielleicht weniger charakteristisch Queen Elizabeth von England, deren Land möglicherweise versucht, sich in der Gemeinschaft des zukünftigen Europa neu aufzubauen.
Der Buckelmond-Typus: Alle Menschen, die mit dem Mond zwischen 135 und 180 Grad der Sonne voraus geboren sind, also wenige Tage vor Vollmond.
Diese Menschen neigen dazu, viel Aufmerksamkeit auf die Entwicklung ihrer Fähigkeit zu persönlichem Wachstum zu verwenden. Sie wollen ihrer Gesellschaft, ihrer Kultur oder dem «Leben» allgemein Werte und Bedeutung schenken. Sie fragen immer wieder: «Warum?» Sie arbeiten an einer Klärung persönlicher oder sozio-kultureller Anliegen und haben dabei ein für sie bedeutendes Ziel im Sinn. Gewöhnlich besitzen sie einen scharfen Verstand und die Fähigkeit, Ideen und Konzepte assoziativ zu verbinden, wodurch sie eine Art von Offenbarung oder Erleuchtung möglich machen. Sie könnten sich einer grossen Person oder Sache unterordnen und/oder von anderen verlangen, mit der gleichen Hingabe für sie zu arbeiten.
Unter den Männern dieses Typs finden sich der brillante deutsche Philosoph Graf Hermann Keyserling, der begnadete Mystiker Jacob Böhme, Lord Byron und der Komponist Gershwin, der der populären Musik eine neue Richtung gab. Unter den Wissenschaftlern können Newton und Pasteur erwähnt werden. Der grosse internationale Banker J.P. Morgan und wahrscheinlich Napoleon I., Präsident Franklin D. Roosevelt und Chruschtschow gehören ebenfalls zu diesem Typ.
Der Vollmond-Typus: Alle Menschen, die bei Vollmond und während der folgenden dreieinhalb Tage geboren wurden. Der Mond steht deshalb zwischen 180 und 135 Grad hinter der Sonne im Tierkreis und eilt, so könnte man sagen, der Sonne entgegen. Dies ist der erste Typ, der der abnehmenden Hemisphäre des soli-lunaren Zyklus angehört; und er vollstreckt die symbolische Bedeutung des Vollmondes als Zielpunkt des Zyklus.
Objektivität und klares Bewusstsein als Ergebnis zwischenmenschlicher und sozio-kultureller Beziehungen sind theoretisch die grundlegenden Charakterzüge. Der ursprüngliche Impuls des Mondzyklus (der fundamentale, ewig schwingende «Ton») ist nun zu einem geformten Konzept geworden, zu einem mehr oder weniger klaren Bild. Was in der Vergangenheit vorwiegend gefühlt wurde, wird nun gesehen. Dies kann eine Offenbarung oder eine Erleuchtung sein und normalerweise eine Art von Erfüllung; doch es kann, negativ ausgeprägt, auch Trennung oder Loslösung bedeuten - vielleicht sogar eine Loslösung von der Realität oder eine innere Zerrissenheit («der Mensch gegen sich selbst»). Beziehungen bedeuten dem Menschen vom Vollmondtyp alles; oder er verwirft alle Beziehungen mit Ausnahme jener, die einem Ideal oder einem «absoluten» Charakter entsprechen.
Mary Baker Eddy, die Prophetin der Christian Science, ist ein exzellentes Beispiel für das oben Gesagte. Im fast entgegengesetzten Sinne sehen wir den «apollinischen» Denker Goethe und Rudolf Steiner, den okkultistischen Seher, der übrigens ein glühender Verehrer Goethes war. Jeanne d'Arc ist ein anderes «visionäres» Beispiel dieses Typs - die Prophetin eines geeinten Frankreich und des modernen Nationalismus. Der spirituelle Hindu«wanderer» Krischnamurti gehört wahrscheinlich ebenfalls in diese Persönlichkeitskategorie, doch ausser ihm auch der spanische Diktator Franco und die Astrologin Evangeline Adams.
Der Aussaat-Typus: Alle Menschen, die mit abnehmendem Mond zwischen 135 und 90 Grad hinter der Sonne geboren sind. Astronomisch gesehen ist dies ebenfalls ein «Buckelmond», doch er weist in eine andere Richtung als der Buckelmond des zunehmenden Hemizyklus.
Ich benutze den Begriff «Aussaat», weil in positivem Ausdruck ein solcher Mensch dazu neigt, anderen zu demonstrieren, was er gelernt oder erfahren hat. So wirkt ein Mensch von diesem Typ oft als Sämann von Ideen - ein Mensch, der populär macht, was ihn bei seinen Studien oder Erfahrungen am stärksten beeindruckt hat. Er könnte ein wahrer Kreuzfahrer werden; doch der negative Typ kann sich leicht in einer Sache verlieren und fanatisch werden oder sich von Massenemotionen leiten lassen.
Unter Staatsmännern wird der Typ der Aussaat von Jefferson, Disraeli, Teddy Roosevelt und Bismarck repräsentiert - und von Hitler. Unter Denkern und Künstlern finden wir in dieser Kategorie C. G. Jung und vor ihm Dante und Wagner.
Der Letztviertel-Typus: Alle Menschen, die mit abnehmendem Mond zwischen 90 und 45 Grad hinter der Sonne geboren wurden.
Während der Typ des ersten Viertels im Grunde einen Zustand der Krise im Handeln repräsentiert, ist der Typ des letzten Viertels im wesentlichen durch eine Tendenz geprägt, Krisen im Bewusstsein zu erleben; zumindest könnte es diesen Menschen besonders wichtig sein, ihre ideologischen Überzeugungen in klaren Gedankensystemen und/oder konkreten Institutionen verwirklicht zu sehen. In persönlichen wie in sozialen Beziehungen neigen sie dazu, ihre Anliegen auf der Grundlage eines mehr oder weniger wichtigen Prinzips, dem sie Genüge tun müssen, zu forcieren - vielleicht sogar um jeden Preis. Ihnen mag es an Flexibilität mangeln, denn sie halten sich oft für Pioniere, deren Werke erst die Nachwelt würdigen wird. Sie sind auf eine Zukunft eingestimmt, von der sie jedoch nur die Umrisse von Strukturen oder einen pränatalen Abglanz sehen. In manchen Fällen sind sie fähig, eine Ironie oder einen Humor an den Tag zu legen, den sie in den Dienst ihres Anliegens stellen - oder sie sind unfähig, Kritik zu ertragen.
Zu diesem Typ gehören Reformer wie Luther und Gandhi, Staatsmänner wie Washington, Lenin, Trotzki, Mussolini. Der Apostel der «Single Tax»-Bewegung Henry George, der humanistische Dichter Victor Hugo, der Wissenschafter Einstein und der Humorist George Bernard Shaw sind weitere Beispiele für diesen Typ.
Der balsamische Typus: Alle Menschen, die mit dem Mond auf weniger als 45 Grad hinter der Sonne geboren sind, also 3 1/2 Tage vor dem Neumond. Dies wird symbolisiert durch die vor Sonnenaufgang sichtbare umgekehrte Mondsichel, die den neuen Tag ankündigt.
Die annähernd drei Tage dieser «balsamischen» soli-lunaren Beziehung machen ein Zehntel des ganzen Mondzyklus aus. In der alten Hindulehre von den Zyklen bildet das letzte Zehntel eines Zyklus (und ebenso, wenn auch nicht ganz so deutlich, das erste Zehntel des folgenden) ein Übergangsstadium (sandhya), das wir den Samenzustand nennen könnten. In diesen letzten drei Tagen des dreissig Tage dauernden Mondzyklus pflanzt der Zyklus seinen Samen; und dieser Same wird zum Fundament der zukünftigen Pflanze, vorausgesetzt, die Bedingungen zum Keimen sind gegeben.
Dieser Persönlichkeitstyp ist in seiner höchsten Manifestation prophetisch und völlig auf die Zukunft gerichtet, selbst wenn er sich als Endprodukt der Vergangenheit betrachtet - doch es ist eine Vergangenheit, die er äusserlich oder bewusst hinter sich gelassen hat. Zuweilen fühlt sich der unter dieser Beziehung Geborene von einer sozialen «Bestimmung» getrieben oder von einer übergeordneten Macht geführt. Er ist sich mehr oder weniger bewusst, dass er eine Art Schrein (oder «Feld») ist, in dem etwas Grösseres als sein persönliches Selbst manifestiert wird; so könnte er zum Wohle der Zukunft bereitwillig Opfer oder Märtyrertum auf sich nehmen - sei es nun die Zukunft einer kleinen Gruppe oder der gesamten Menschheit. Er neigt dazu, in allen seinen wichtigen Beziehungen etwas Endgültiges zu spüren; das heisst, er sieht sie sowohl als Schlusspunkte eines Prozesses wie als Mittel, ein transzendentes Ziel zu erreichen.
Dies könnte zu Fanatismus führen - wie im Falle des französischen Revolutionärs Robespierre, der den Kult der Gottheit Vernunft gründete - oder zu grossen politischen Visionen wie im Falle von Thomas Paine, der mit Recht den Beinamen «Vater der Demokratie» erhielt, oder bei Lincoln, dem Vater der Gleichberechtigung. Der Philosoph Kant, Havelock Ellis, der die Endresultate und Perversionen der sexuellen Antriebe untersuchte, Cecil Rhodes, der die Vision eines afrikanischen Imperiums hatte, Präsident McKinley, in dessen Amtszeit die USA begannen, sich als Weltmacht in die internationale Politik einzuschalten und ihren Führungsanspruch behaupteten - und Papst Paul VI., der kurz vor Neumond geboren wurde und in der Kirche eine ganze Anzahl Dinge revolutionierte; alle diese Männer gehören zum balsamischen Typ.
Wenn man die genannten Charakterisierungen der acht Mondtypen anwenden will, muss man natürlich zunächst all die Beschränkungen berücksichtigen, die einem Individuum von seiner sozialen Umgebung, seiner Kultur usw. auferlegt werden. Es spielt keine grosse Rolle, ob wir es mit einem Staatsmann zu tun haben, der als Märtyrer für sein selbst erwähltes Ziel starb, oder mit einem Dorfschullehrer (vielleicht in einer unterentwickelten Region), der sein Leben dem Ziel verschrieben hat, den Bildungsstand der Kinder im Dorf zu heben. Was zählt, ist die Qualität der Beziehungen, die der oder die Betreffende eingeht - die Art, auf die sich sein oder ihr Leben in persönlichen, sozialen oder kulturellen Beziehungen polarisiert, wie also die Natur seines Beitrages zur Gemeinschaft oder zur Nation aussieht.
Diese achtfältige Klassifikation von Mondtypen erfüllt jedoch nicht alle Erfordernisse einer gründlichen Persönlichkeitsanalyse, und sie sollte durch einen anderen astrologischen Ansatz in bezug auf den Mondzyklus ergänzt werden. Dieser Ansatz führt uns zum Studium des sogenannten «Glückspunktes» und allgemein zu einer Betrachtung der wirklichen Bedeutung der sogenannten Arabischen Punkte.
Dane Rudhyar und Leyla Rael Rudhyar
Der Sonne/Mond-Zyklus
Edition Astrodata, Wettswil, 1988
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Siehe auch:
- Lexikon der Astrologie, Dane Rudhyar