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Astrologie

Leseprobe

Erin Sullivan

Rückläufige Planeten

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Rückläufiger Transit-Neptun

Neptuns lange Reise durch ein Haus bringt im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von Sonne/Neptun-Oppositionen hervor. Die Anzahl hängt dabei jeweils von der Grösse des Hauses ab. Da Neptun vierzehn Jahre in jedem Zeichen verbringt, könnte ein Neptun-Transit durch ein grosses Haus erheblich länger als vierzehn Jahre dauern. Neptuns Auswirkungen sind weniger schockierend als die seiner Verwandten Uranus und Pluto, aber nicht weniger langfristig. Dem rückläufigen Neptun geht es vor allem darum, sanft die Grenzen des bekannten Universums aufzulösen und die Planeten, mit denen er Kontakt aufnimmt, in einen pränatalen Zustand zurückzuwerfen. Neptun löst unsere bisherigen, als gesichert geltenden Überzeugungen oder Wahrnehmungen auf und taucht uns in ein Urmeer.

Phantasien einer vollkommenen Welt können entstehen und sich langsam wieder auflösen, während Neptun ein Haus transitiert - die rückläufigen Zyklen sind dabei die Zeiten, in denen die Loslösungen stattfinden. Die alljährliche Sonne/Neptun-Opposition ist die Zeit, in der es am häufigsten zum Ich-Verlust und zur Auflösung der Grenzen kommt. Ob uns dies sofort klar wird oder nicht (und es würde zu Neptun passen, wenn wir es nicht bemerken würden), die Formen der Welt lösen sich auf. Mit jedem folgenden Zyklus werden Illusionen fortgespült und neue geboren. Die scheinbar so stabile Realität verändert sich und schenkt uns neue und kunstvollere Bilder dessen, was die Welt ist. Die Zyklen von Auflösung und Neuaufbau sind natürliche Phänomene eines sich stetig weiterentwickelnden Lebens. Die Auflösung der Grenzen zwischen uns und der Umwelt jedoch kann erschreckend und verwirrend sein, besonders wenn Neptun im Laufe seiner langfristigen Transite mehrfach persönliche Punkte berührt.

Die Trigone und Sextile des rückläufigen Neptun geben unserer Phantasiewelt eine Aura der Echtheit, und obwohl es während eines Neptun-Kontaktes schwer ist, die Idee, die Beziehung oder das Projekt, das uns in den Sinn kommt, wirklich zu erfassen, ist das Trigon oder Sextil auf lange Sicht ein schöpferischer Wendepunkt. Es könnte frustrierend und schwierig sein, unsere Gefühle und Ideen in den Jahren, die von Neptun bestimmt werden, zu artikulieren, doch auf einer inneren Ebene findet ein echter Durchbruch schöpferischer Originalität statt.

Negativ ausgedrückt können Sextile und Trigone bedeuten, dass wir bewusster als sonst auf die Gefahr von Selbsttäuschungen achten müssen. Während Neptun mehrmals über einen Planeten oder eine Achse zieht, werden wir immer stärker von unseren Gewohnheiten beeinflusst. Emotionale, ideologische oder spirituelle Phantasien können dabei zur Sucht ausarten. Vielleicht halten wir uns auch für allmächtig und allwissend.

Der Einfluss des direktläufigen Neptun ist, wenn er sich einem Radixplaneten nähert und mit ihm in Kontakt kommt, subtil und hypnotisch. Wir werden verführt, neue Gefühle und Gedanken zu entwickeln. Wenn Neptun sich dann wieder zurückzieht und rückläufig wird, ist sein Einfluss zersetzend und auflösend. Innere Grenzen werden zerstört. Wir haben nicht nur zwischen uns selbst und der Welt, sondern auch zwischen verschiedenen Aspekten unseres eigenen Wesens Grenzen aufgebaut, die unser Bewusstsein vor den Ebenen in uns selbst schützen, mit denen wir nichts zu tun haben wollen.

Neptun umgibt sein Opfer (den Planeten, über den er transitiert) mit einer exotischen, romantischen und flüchtigen Aura. Aus diesem Grund wird Neptun so oft mit Täuschung und Illusion in Verbindung gebracht. Doch Neptun ist nicht immer finster und halluzinatorisch. Er kann durchaus unser Bewusstsein für das Göttliche in uns allen heben. Der Grund dafür ist, dass Neptun die Einheit repräsentiert, wie wir sie im Mutterleib erfahren haben, jenen embryonischen, vorbewussten Zustand im Leben, in dem wir mit der Quelle des Lebens eins sind.

Der rückläufige Neptun lädt uns ein, in den Mutterschoss zurückzukehren, eine Inkubationsphase zu durchlaufen und neu geboren zu werden. Dieser verführerische Planet kann dem übelsten Erlebnis eine prächtige Färbung geben, die es weit über die Realität erhebt. Selbst die rationalsten Menschen sehen ihre Realitätsbegriffe ernsthaft gefährdet, wenn Neptun innerhalb einiger Jahre drei- oder viermal über einen Radixplaneten transitiert. Da der Transit-Neptun lange im Orbis eines Aspektes bleibt, werden die Prinzipien und Eigenschaften des Radixplaneten allmählich aufgeweicht und auf eine elementare Ebene zurückgeführt. Die Erosion falscher Wertvorstellungen und unserer Luftschlösser ist ein positives Resultat der Neptun-Zyklen. Die Folge ist eine realistischere und praktischere Lebenseinstellung. Wenn Neptun im Laufe einer längeren Zeit mehrmals über einen bestimmten Punkt im Radix zieht, wird unsere Perspektive um immer neue Ebenen bereichert - während Neptun rückwärts läuft, gehen die anderen Transite weiter, und wenn er dann das nächstemal «trifft», hat sich unsere Perspektive völlig verändert.

Die Auflösung der Grenzen erlaubt es uns, auch gefestigte Definitionen unser selbst einer Veränderung zu unterziehen. Letzten Endes wird unser Ich weicher und weniger arrogant, wir werden demütiger und kommen uns selbst näher. Die Schattenseite ist jedoch, dass Unsicherheit und Fügsamkeit uns für Manipulation und Zwang empfänglich machen. Unter dem Einfluss eines Neptun-Transits ist das Ich nicht unbedingt die Quelle der Weisheit, denn Neptun dient vor allem der Quintessenz unseres Wesens, dem höheren Selbst, das genau «weiss», was geboren werden muss.

Projektionen auf die Umgebung oder die Verschmelzung mit ihr sind die häufigsten Nebeneffekte eines Neptuntransits - wir sehen andere Menschen als ideale Geschöpfe und projizieren unsere eigene Göttlichkeit auf sie. Wir könnten auch so weit mit einem anderen verschmelzen, dass wir Bestandteil seiner Phantasien werden und die Erfahrungen eines anderen teilen, als wären es die eigenen, ganz egal, wie unsere eigenen Motive und Bedürfnisse aussehen. Unter dem Einfluss eines Neptun-Transits brauchen wir andere Menschen als Spiegel für uns selbst. Es wäre weit übertrieben zu sagen, dass wir unter einem Neptun-Transit psychotisch oder völlig unbewusst würden, doch über allem, was geschieht, liegt ein Hauch von Irrsinn. Im Gegensatz zu Uranus, der uns aus unseren Verankerungen reisst, oder zu Pluto, der uns in die Abgründe des Unbewussten stürzt, glättet Neptun unmerklich unsere Ecken und Kanten und zeigt uns das Leben durch eine unscharfe Linse.

Neptun raubt uns unsere Urteilsfähigkeit. Wir werden hilflos, infantil und brauchen die Unterstützung einer Mutterfigur, die oft in Gestalt eines Geliebten. Analytikers oder Ratgebers auftritt - nach irgend jemand, der uns vor der harten Welt rettet. Neptun erinnert uns an den paradiesischen Seinszustand, in dem zwei Herzen schlagen wie eines. Die Sehnsucht nach diesem Zustand kann uns zu Erlebnissen verleiten, die uns selbst zerstören können. Wenn Neptun sich einem Radixplaneten nähert, sind wir vorübergehend geblendet, und alle bewussten, progressiven Handlungen werden eingestellt. Wir beginnen, die Prinzipien des betroffenen Planeten nach innen zu lenken. Wenn der rückläufige Zyklus beginnt, entsteht zunächst ein Gefühl der Spannung und Lähmung. Menschen, die normalerweise entschlossen und kontrolliert sind, werden nun zögerlich und ambivalent, sie lassen ihre Urteile von anderen beeinflussen, die sie für klarer halten. Die Ironie liegt in der Tatsache, dass die Wahrnehmungen anderer Menschen ebenso verzerrt sind wie die eigenen.

Letzten Endes hat Neptun in seinem dreifachen Kontakt die Absicht, unsere Wahrnehmung zu erweitern und sie über die bewusste Realität hinaus für Dimensionen des Übernatürlichen zu öffnen, die ebenso real, wenn auch nicht greifbar sind. Neptunische Realitäten sind nicht klassifizierbar, alles verschmilzt zu einer numinosen Sphäre. Neptun verlockt uns oft zu spirituellen oder medialen Grenzerfahrungen. Am Ende ist es jedoch immer enttäuschend, unter Neptuns Einfluss religiösen oder spirituellen Trost zu suchen - nicht wegen der Religion selbst, sondern weil wir ihr unter dem Einfluss Neptuns übernatürliche Kräfte zuschreiben. Das bedeutet nicht, dass wir unter Neptun nicht in der Lage wären, wahre spirituelle Nahrung zu finden, doch müssen wir die spirituelle Kraft in uns selbst suchen, statt auf Erlösung von aussen zu hoffen.

In diesem Zyklus kann es schwer sein. Beziehungen zu bilden oder aufrecht zu erhalten. Das Selbst will eher einen Aspekt seiner selbst zur Welt bringen, statt mit einer anderen Person zu verschmelzen, auch wenn diese Vorstellung sehr verlockend erscheint. Idealisierung und Opfer spielen in einem Neptun-Zyklus eine grosse Rolle. Vielleicht geben wir einen guten Teil unserer persönlichen Freiheit und Integrität auf und verlieren uns in einer für ideal gehaltenen Beziehung, statt uns selbst zu finden. Andererseits kann es eine wichtige Erfahrung sein, unter einem Neptun-Transit von einem anderen aufgesaugt zu werden, weil dabei auch ein gewisser Narzissmus im Spiel ist.

Möglicherweise dienen wir vorübergehend als Kanal für göttlich inspirierte Informationen, doch meist ist es schwer, diese Informationen als Hilfe für uns selbst zu benutzen. Das Prinzip, das die Grenzen zwischen dem intellektuellen Bewusstsein und der unbewussten Intelligenz auflöst, ist eben zugleich auch das Prinzip, das uns die Kraft raubt. Neptun erschöpft unsere körperlichen und psychischen Ressourcen, auch wenn er uns zum Ausgleich für Inspirationen empfänglich macht.

Das grosse Mitgefühl für hilflose Menschen ist ein Spiegel unserer eigenen Hilflosigkeit - wenn wir anderen helfen, wollen wir im Grunde uns selbst helfen. Wir sollten ein Gleichgewicht herstellen oder zumindest die Symbiose zwischen Helfen und Sich-Helfen-lassen bewusst anerkennen, um uns nicht zum Erlöser aufzuschwingen; wir können unsere persönliche Energie an anderer Stelle weitaus besser verwenden.

Die verschiedenen Stadien des Neptun-Transits sind ein allmählicher Prozess von Auflösung, Aufweichen und Zersetzung. Ein einmaliger Transit ohne folgende Rückläufigkeit geht oft mit tiefen Selbsttäuschungen einher, aus denen wir mit Erstaunen erwachen, wenn der Einfluss nach einigen Monaten schwindet. Wenn sich der Transit aber drei- oder viermal wiederholt, gewinnt er an Bedeutung und zielt eher auf eine völlige Transformation des schöpferischen Prinzips.

Der erste Kontakt lockert unseren Bezug zur Realität, er löst unsere Einstellung zum Leben und zur Welt auf. Im Gegensatz zu Uranus oder Pluto hat Neptun aber keine Meinung. Er hat Stimmungen, Gefühle, Empfindungen, Bilder, Phantasien, Nuancen, Andeutungen und Visionen. Er schleicht sich in unser Bewusstsein, er reduziert alles auf einen embryonischen Zustand. Geheimnisvolle Dinge geschehen, die dem Bewusstsein verborgen bleiben.

Oft ist unser Bewusstsein vor Angst gelähmt. Wir spüren eine nicht festzumachende Besorgnis, die scheinbar keine Ursache hat, und suchen verzweifelt nach einem Grund. Wir werden misstrauisch - und in der Tat könnte das Misstrauen sogar berechtigt sein, auch wenn wir zunächst keinen Anlass sehen. Eine Frau, in deren Horoskop Neptun auf dem Radix-Merkur im Schützen im zweiten Haus stationär rückläufig geworden war, hatte das unbestimmte Gefühl, «irgend etwas» sei nicht in Ordnung. Zehn Monate später, als Neptun noch einmal direktläufig über ihren Merkur zog, stellte sich heraus, dass ihr Mann in der Zeit, als sie Angst hatte, heimlich eine zweite Hypothek auf ihr Haus aufgenommen und damit ihre Alterssicherung gefährdet hatte. Sie hatte die Täuschung im zweiten Haus «gefühlt», doch der Beweis kam erst beim zweiten Transit.

In den Anfangsstadien eines Neptuntransits ist es wichtig, den Kontakt zur Realität nicht zu verlieren. Falls es Andeutungen auf Täuschungen gibt, sollten wir Vorsicht walten lassen. Offensichtlich kann sich unter einem Neptun-Transit auch eine Paranoia - ein erhöhter, aber dunkler Bewusstseinszustand - entwickeln, die sich nur mit viel Wahrheit und Realität auflösen lässt. Andererseits könnten wir befürchten, paranoid zu sein, während wir es in Wirklichkeit überhaupt nicht sind. Wir müssen unterscheiden lernen, wann wir echte Intuitionen haben und wann wir nur misstrauisch oder unruhig sind. Unsere innere Stimme ist jedoch während des ersten Neptun-Kontakts stärker und klarer, und letzten Endes ist sie viel zuverlässiger als das trickreiche Bewusstsein.

Wenn Neptun nach einer rückläufigen Phase noch einmal zurückkehrt, lassen die Illusionen nach und weichen einer neuen Art und Weise, die Realität zu sehen. Unser Bewusstsein ist offen, um Informationen zu empfangen, die zunächst jedoch noch nicht verarbeitet werden. Die Lösung kommt dann in der rückläufigen Phase. Das Ich entspannt sich und wird fügsam, es ist offen für neue sinnliche Eindrücke und öffnet sich bisher unvorstellbaren Möglichkeiten. Neptun reduziert das Ich allmählich auf das Es - die Reise geht vom «Ich bin» zum «Es ist». Es ist eine Zeit der Passivität, in der die Grenzen zwischen dem Realen und dem Scheinbaren immer weiter verwischen. Eine junge Steinbockgeborene mit dem Aszendenten auf 5° Steinbock erlebte ihre beiden letzten Schuljahre unter dem Einfluss des Transit-Neptuns auf ihrem Aszendenten. Sie machte sich gut und entwickelte ihre künstlerische Seite, doch sie sagte, sie habe die ganze Phase wie im Nebel erlebt. Mit ihrem Steinbock-Aszendenten wollte sie sich selbst eigentlich klar sehen, doch Neptun raubte ihr jedes Identitätsgefühl. Sie nahm verschiedene Rollen an und verbrachte ihre Zeit in fragwürdiger Gesellschaft. Glücklicherweise trug ihr inneres Wertgefühl den Sieg davon, sie überstand die Experimente mit Drogen und den Gruppendruck ihrer Gefährten, war aber die ganze Zeit über sehr verletzlich.

Alle Transite äusserer Planeten müssen sich auf der rationalen Ebene durch direkten Kontakt mit Menschen oder Ereignissen, die in direktem Zusammenhang mit dem transitierenden Planeten stehen, manifestieren. Wir ziehen an, was unserer Innenwelt und unserer Psyche entspricht. Im Falle Neptuns scharen wir Neptunier um uns, eine Versammlung schlüpfriger, nicht fassbarer, geheimnisvoller, unergründlicher Menschen, und eine Zeitlang machen wir ihre Welt zu der unseren. Das Ausbluten bei anderen erweitert unseren Erfahrungshorizont; wir stecken buchstäblich in den Schuhen der anderen und lassen uns auf alles ein, was sie bewegt. Immer stärker wird uns bewusst, dass alles eins ist, und obwohl unsere Erfahrungen aus der Umgebung zu uns zu kommen scheinen, sind sie in Wirklichkeit nur Spiegelungen eines inneren Aspektes unseres eigenen Wesens, das uns nur noch nicht bewusst war.

Unter einem Neptun-Transit ist es durchaus möglich, dem «Nicht-Selbst» zu begegnen. Das Geheimnis symbiotischer Beziehungen klärt sich, wenn wir überlegen, was Neptun-Transite anrichten können. Der Planet, mit dem Neptun Kontakt aufnimmt, hört auf, das Ich zu stützen. Er ist nicht mehr in die Struktur des Horoskops eingebunden. Es ist, als triebe er davon, um unbestimmte, neblige Reiche zu erforschen, und als legte er für die Dauer des Transits jede Verantwortung ab. Möglicherweise fühlen wir uns auf Gedeih und Verderb anderen Menschen ausgeliefert, wir sind in ihrem Reich gefangen und unserem eigenen entfremdet. Beziehungen können symbiotisch werden, wir wollen auf allen Ebenen teilen und verschmelzen - dies gilt für Ideen, Ziele, Aktivitäten und schliesslich auch für die Persönlichkeit. Solange das Teilen bewusst geschieht, können wir unsere Individualität wahren. Doch wenn wir neptunisch aufgelöst werden, verlieren wir jedes Gefühl für unsere Eigenständigkeit und Individualität und halten uns für eine Erweiterung eines anderen oder gleich für ihn selbst. Hier entsteht auch die verlockende folie à deux.

Eine Frau, die zur Beratung kam, hatte Mars in der Waage. Neptun bildete gerade ein Quadrat zu Mars, und sie steckte in einer Dreiecksbeziehung. Neptun wurde stationär rückläufig - sie beendete die Beziehung. Neptun lief rückläufig noch einmal über ihren Mars - sie nahm die Beziehung wieder auf, unter, wie sie glaubte, «neuen» Bedingungen. Dann wurde Neptun stationär direktläufig und transitierte abermals ihren Mars. Sie löste die Beziehung wieder auf, erkannte jetzt aber, wie sehr sie getäuscht worden war. In den ganzen achtzehn Monaten, die der Transit dauerte, versuchte sie, dem anderen Mann bei der Lösung seiner Probleme zu helfen. Doch wer hatte wirklich ein Problem?

Wenn Neptun zum letztenmal über einen Radixplaneten hinwegzieht, hat sich wahrscheinlich unsere ganze Realität verändert. Uns sind nun Philosophien und Überzeugungen nahe, die uns vor dem Transit völlig fremd waren. Wir sind zu unserem Urzustand zurückgekehrt und wurden durch die Erfahrungen, die wir in dieser Zeit machten, wiedergeboren. Wir sind weicher und akzeptierender und oft friedlicher geworden, wenn wir einen Neptun-Transit hinter uns haben. Anscheinend gibt es nichts zu bekämpfen, wenn Neptun das Ich entfesselt. Nur selten entsteht Wut, viel öfter Trauer oder Sehnsucht.

Die Art von Wut, die Neptun manchmal aufwirft, ist eine globale, infantile und undifferenzierte Wut. Es ist unmöglich, dieser Wut einen Namen zu geben, und meist richtet sie sich ohnehin nach innen. Kinder wissen nicht, warum sie hungrig sind, warum sie frieren oder nass sind. Sie wissen nicht einmal, dass dies die Gründe für ihr Unbehagen sind. Wenn sie sprechen könnten, würden sie sagen, dass überhaupt nichts mehr stimmt. Wenn nur eine Sache nicht stimmt, sind sie gleich auf die ganze Welt wütend - sie erleben sich nicht als von der Welt getrennt. Wenn ein Baby gefüttert, trocken und behaglich untergebracht ist, dann ist die Welt vollkommen. Unter dem Einfluss eines Neptun-Transits unterscheiden wir uns nicht von der Umwelt. Wir können globalen Schmerz und globales Glück erleben.

HEATHER

Im Februar 1987, als Neptun zum erstenmal ein Quadrat zu Heathers Mond auf 7° Waage bildete, der mit dem Radix-Neptun in Konjunktion ist (11° Waage), begann für sie eine Reihe von Ereignissen, die im Laufe von drei Jahren ihre Umgebung völlig verändern sollten. Der erste Kontakt fiel damit zusammen, dass ihr jüngster Sohn das Haus verliess und zur Universität ging, während die ältere Tochter auf einer längeren Auslandsreise war. Beide Kinder wurden binnen zwei Monaten erwachsen und verliessen das Elternhaus. Obwohl Heather als Psychologin und Autorin sehr ausgefüllt war, empfand sie das Gefühl der «Leere» viel stärker, als sie erwartet hätte. Allmählich begannen sich ihre Bezugspunkte aufzulösen.

Als Neptun im Juni 1987 rückläufig noch einmal das Quadrat bildete, rief Heathers Bruder an und erzählte ihr, dass ihre Mutter sterbenskrank sei. Sie hatte Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Heather hatte ihre Mutter acht Jahre nicht mehr gesehen; nach einem Streit hatte sie den Kontakt abgebrochen. Heather war von der alkoholkranken Mutter als Kind mehrmals misshandelt worden, und die Mutter hatte sich noch, als Heather und ihr Bruder erwachsen waren, immer wieder in ihr Leben eingemischt. Heather musste sich nun überwinden, ihre Mutter zu besuchen. In der ersten Hälfte des rückläufigen Zyklus überlegte sie, ob sie ihre eigene emotionale Stabilität riskieren und die sterbende Frau besuchen, oder ob sie die Distanz bis zu deren Tod beibehalten sollte.

Die Entscheidung fiel im Laufe der folgenden beiden Monate. Am 16. September 1987 wurde Neptun auf 5° Waage direktläufig stationär. Heather hatte sich entschlossen, ihre Mutter noch im September zu besuchen. Sie fuhr zu ihr und empfand in sich eine tiefe Liebe, vor der die frühere Grausamkeit ihrer Mutter verblasste. Heather besuchte sie ein zweites Mal. Sie wusste, dass ihre Mutter zu Hause in ihrer eigenen Umgebung und so würdevoll wie möglich sterben wollte, und nach einer Nacht voller Fragen und Qualen beschloss sie, ihre Mutter bis zu deren Tod daheim zu pflegen. Heather bot ihr an, sie bis zum Ende zu begleiten, stellte aber eine Bedingung: Sie musste die absolute Kontrolle haben. Ihre Mutter willigte ein.

In der letzten Oktoberwoche des Jahres 1987 zog Heather ins winzige Haus ihrer Mutter um und richtete sich für die Pflege der Sterbenden ein. Sie organisierte alles. Die Rollen waren nun vertauscht. Heather war jetzt die «gute Mutter». Sie konnte die Narben und Verletzungen heilen, die durch die Erziehung einer «schlechten Mutter» entstanden waren. Als sie nun ihre eigene Mutter wie eine Mutter pflegte, wurde tief in ihrer Seele etwas angerührt. Die Krebskrankheit der Mutter, ihre Hilflosigkeit und die schon fast klischeehafte Rollenumkehr leiteten die Auflösung von Heathers Mond/Neptun-Komplex ein. Die Mutter erkannte, was sie getan hatte und begann wirklich zu bereuen, und in dieser Wiedervereinigung zwischen Mutter und Tochter wurde Heather wiedergeboren. In der Zeit zwischen Oktober und Dezember wurden viele Dinge geklärt. Heather und ihre Mutter sprachen kaum über die Verletzungen, es war nicht nötig.

Heather ging innerlich durch die Hölle, sie lernte den Tod kennen. Einmal, als Heather ihr eine Morphiuminjektion gab, sagte ihre Mutter: «Ich weiss, was du mir antun könntest, und ich würde dir keinen Vorwurf machen - nach all den schrecklichen Dingen, die ich dir angetan habe.» Sie wussten beide, was sie meinte. Heather hatte nun die ganze Macht, Macht über Leben und Tod. Mutter und Tochter wurden in diesem Augenblick geheilt. Als der Tod näherkam, wurde Neptun stationär und hielt sich etwa zwei Wochen im exakten Quadrat zu Heathers Mond. Am 16. Dezember 1987 wurde Neptun auf 7°11° Steinbock stationär, exakt im Quadrat zu Heathers Waage-Mond. Ihre Mutter starb am Mittag des gleichen Tages.

In den folgenden Monaten begann eine umfassende Heilung. Heather war ihr Leben lang von der alkoholkranken Mutter misshandelt worden, und sie hatte sich nur bereiterklärt, die Mutter zu pflegen, weil sie nun endlich etwas für sie tun und dabei die absolute Kontrolle behalten konnte. Heather hatte ihre Mutter immer innig geliebt, doch in der Rolle des Opfers hatte sie sie schliesslich auch hassen gelernt. Während sie ihre Mutter pflegte und dabei nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Mutter heilte, wurde Heather in einen embryonischen Zustand zurückgeführt und wiedergeboren. Heather brachte sich selbst zur Welt.

Nach und nach lösten sich alle Aspekte ihres emotionalen und häuslichen Lebens auf. Im Laufe der folgenden Monate liess sie sich scheiden (im April, als Neptun auf 10° Steinbock noch einmal rückläufig stationär wurde), denn sie erkannte, dass sich ihr altes Opferverhalten in der Ehe wiederholt hatte. Auf eine noch unklare Weise spürte sie, dass ihr früheres Leben überholt war. Der letzte Transit Neptuns über 7° Steinbock, im Quadrat zu ihrem Mond, kam im September 1988. Sie wusste es damals noch nicht, doch diese Zeit sollte ihr Leben nachhaltig verändern. Im folgenden Jahr, im September, verliess sie ihre Heimat und zog ins Ausland, um einen neuen Anfang zu machen. Während des Neptun-Transits hatte Heather ihr Leben noch einmal durchlebt, sie hatte ihre Illusionen erkannt und war letzten Endes viel realistischer und praktischer geworden. Unausgesprochen blieben die Schmerzen und die Trauer, die sie im Laufe dieser Wiedergeburt durchleiden musste.

Diese dramatische Schilderung ist ein Musterbeispiel für Neptuns langfristige Einflüsse. Wir können buchstäblich in den Mutterleib zurückkriechen, eine Schwangerschaft erleben und noch einmal geboren werden, wenn Neptun uns beeinflusst. Das Ich und die Seele verschmelzen, die Grenzen zwischen dem, was war, dem was ist und dem. was sein wird, verwischen, und die Zeit hört auf. Wir betreten eine zeitlose Sphäre, in der Wunder geschehen können. Die Ängste, Schmerzen und die Sehnsucht, die Neptun mit sich bringt, all dies sind Indikatoren für die Stärke unserer Verhaftung an die Vergangenheit, und sie dienen letztlich dem Kontrollbedürfnis des Ich.

Wir können nie sagen, wie die Resultate eines langfristigen Transits schliesslich aussehen werden. Die wichtigste Lektion besteht darin, zu lernen, mit den Göttern zu gehen. Unser Ich wird aufgelöst, und neue Visionen des Lebens werden sichtbar. Die Sehnsucht nach einer Wiedergeburt spiegelt sich in unserem Bedürfnis oder in unserer Fähigkeit, die Vergangenheit zu zerschmettern, um eine neue Zukunft zu erschaffen.


Rückläufige Planeten

Erin Sullivan
Rückläufige Planeten
Edition Astrodata, Wettswil, 1994
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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